Warum Deutschland bei Großprojekten der Türkei hinterherhinkt

Großprojekte in der Türkei

Warum Deutschland bei Großprojekten der Türkei hinterherhinkt

Das Schwellenland Türkei schließt ein Milliardenprojekt nach dem anderen ab während wir als eine führende Industrienation auf die Fertigstellung des neuen Berliner Flughafens warten. «Was läuft hier falsch?», fragt sich unser Autor Ali Yıldırım und bietet eine pragmatische Lösung an.
19.06.2014 , von
ist
 
Schaut man sich die Großprojekte der Türkei an, die das Land Schritt für Schritt angeht, fragt man sich zwangsläufig, wie ein Entwicklungsland, wie die Türkei, mehr Großprojekte angehen und auch erfolgreich abschließen kann als eine Industrienation, wie die Bundesrepublik.
Auf der einen Seite wird vom weltgrößten Flughafen gesprochen. Auf der anderen Seite von maroden Straßen und Brücken, von sanierungsbedürftigen Schulen oder peinlichen Bauvorhaben wie dem Berliner Flughafen BER.
Ich werde im Folgenden versuchen, die Gründe hierfür aufzuzeigen.
Die Großprojekte der Türkei
Doch zunächst möchte ich auf die zuvor erwähnten Großprojekte der Türkei eingehen, die sukzessive angegangen, aber auch fertiggestellt werden. Hier ein paar Beispiele mit ihren Kosten und ungefährer Fertigstellungszeit.
  1. Kernkraftwerk Sinop (22 Mrd. US$)
  2. Kernkraftwerk Akkuyu (20 Mrd. US$, 2022)
  3. Trans-Anatolian Natural Gas Pipeline (17 Mrd. US$, 2018)
  4. Kanal Istanbul (15 Mrd. US$)
  5. Dritter Istanbuler Flughafen (10 Mrd. US$, 2017)
  6. Autobahn Istanbul-Izmir, einschl. Hängebrücke (8,5 Mrd. US$, 2019)
  7. EDV- und IT-Ausstattung von Schulen (7,5 Mrd. US$, 2016)
  8. Petkim Star-Erdölraffinerie (5 Mrd. US$)
  9. Hochgeschwindigkeitszug Istanbul-Ankara (4,3 Mrd. US$, 2014)
  10. Nord-Marmara Autobahn, einschl. dritte Hängebrücke über dem Bosporus (2,5 Mrd. US$, 2015)
  11. Wohnungsprojekt Tema Park Istanbul (1,7 Mrd. US$, 2016)
  12. Eurasia-Tunnel für den Kfz-Verkehr (1,3 Mrd. US$, 2016)
(Quelle:500Worte.de und Sabah.com.tr)
Das sind nur einige der Großprojekte der Türkei. Nicht berücksichtigt sind beispielsweise militärische Investitionen. Die Regierung des Ministerpräsidenten Erdogan verfolgt konsequent die Durchführung dieser Projekte. Erst kürzlich erfolgte der Spatenstich für den dritten Istanbuler Flughafen, der mit jährlich 150 Millionen Fluggästen der größte Flughafen der Welt werden soll und damit nicht nur europäischen Konkurrenten wie London oder Frankfurt ein Dorn im Auge ist, sondern auch Umschlagsflughäfen wie Dubai.
Es werden jedoch nicht nur Projekte in der Türkei begonnen, sie werden auch zu Ende gebracht. Eines der jüngsten Beispiele ist das Unterwasserschienensystem Marmaray, das die Kontinente Asien und Europa unterhalb des Bosporus miteinander verbindet. Kostenpunkt: Fünf Milliarden US-Dollar.
Doch warum kann die Türkei laufend Großprojekte angehen, die Bundesrepublik jedoch nicht?
Gründe für das Scheitern in der Bundesrepublik
Erdogen macht sicherlich eines richtig: er behält die Zügel in der Hand. Bei Großprojekten verfügt der türkische Staat, trotz seiner wirtschaftsliberalen Politik, weiterhin über die Kontrolle.
In Deutschland sieht die Situation anders aus. Hier arbeiten die Behörden viel langsamer. Wie ein Verwaltungsangestellter mir kürzlich bestätigte, brauchen Planungs- und Umsetzungsphase viel zu lange. Hinzu kommt, dass der Staat immer mehr das Projektcontrolling an die private Hand übergibt bzw. Partnerschaften eingeht. Das so genannte Public Private Partnership.
Public Private Partnership als Ursache für überschuldete Bauprojekte
In der Ära Schröder wurde in Deutschland ein neues Finanzprodukt namens «Public Private Partnership (PPP)» eingeführt. Übernommen hat dieses Prinzip der Altkanzler von seinem guten Freund Tony Blair aus Großbritannien.
PPP bedeutet, dass die Öffentliche Hand und private Investoren eine Partnerschaft eingehen und somit vom Staat zu verantwortende Baumaßnahmen an den Privatsektor abgegeben werden. Diese übernehmen nicht nur den Bau, sondern auch die Finanzierung, das Controlling und den Betrieb des abgeschlossenen Projekts.
Als Beispiel für eine PPP kann die LKW-Maut «Toll Collect» angeführt werden. Das an die privaten Investoren Telekom und Daimler outgesourcete Großprojekt sollte am 1. August 2003 offiziell starten. Da der Einzug der Abgabe für Lastkraftwagen im Februar 2005 immer noch nicht eingeführt wurde, wollte die Bundesregierung die vertraglich vereinbarten Konventionalstrafen geltend machen. Doch in den 17.000 Seiten des Vertrages zwischen dem Staat und den Investoren ist geregelt, dass der Auftraggeber nicht vor Gericht ziehen kann, sondern ein privates Schiedsgericht bei Streitigkeiten entscheiden soll. Diesem haben sich die Telekom und die Daimler AG stets verwehrt. 2012 hat Verkehrsminister Ramsauer dann den Kampf gegen die „Partner“ als hoffnungslosen Fall ad acta gelegt.
Die Folge: Dem Staat sind nicht nur Einnahmen in Höhe von vier Milliarden Euro entgangen, die Regierung musste sich in dieser Höhe auch neuverschulden und zusätzlich Zinsen zahlen. Geld, für das der Steuerzahler aufkommen und obendrein auf weitere Investitionen in Straßen und Schulen verzichten muss.
Derartige PPP-Projekte sind in Deutschland keine Seltenheit. Als weitere Beispiele können die Elbphilharmonie in Hamburg oder der Flughafen BER aufgeführt werden. Hier haben Unternehmen, wie die Hochtief AG, die Bundesrepublik im Würgegriff und bitten mit immer weiteren Nachforderungen den Steuerzahler zur Kasse. Wogegen die Türkei ihre Schulden bei der IWF abbezahlen kann, muss Deutschland weiter Schulden aufnehmen, um diese Nachforderungen zu erfüllen.
Es ist also nicht verwunderlich, dass eine Industrienation wie Deutschland, das trotz hoher Steuereinnahmen unter einer desolaten Infrastruktur oder einem kränkelnden Bildungssystem leidet. Fragt man Dr. Werner Rügemer, einen Experten auf dem Gebiet der Public Private Partnership, haben wir es hier sogar mit Korruption zu tun. Denn dadurch dass der Staat Kompetenzen durch das Auslagern des Projektcontrollings abbaut, macht er sich abhängig von Beratern. Die wiederum werden bei Unstimmigkeiten hinzugezogen, um das eigene Versagen zu kompensieren. Bezahlen muss das der Steuerzahler.
Appell
Wenn es um Großprojekte der Regierung geht, treten Großkonzerne wie eine riesige Rechtsabteilung mit angeschlossener Produktion auf. Der Staat kann aufgrund der Auslagerung der Projekte an die private Hand und dem dadurch bedingten Abbau von Kompetenzen, Verträge nicht mehr prüfen und ist ausgeliefert. Nicht nur das: er muss bei Unstimmigkeiten auf diese Rechtsabteilungen oder teure Berater zurückgreifen, die noch einmal den Steuerzahler kosten.
Daher mein Appell an die Bundesregierung: Liebe Frau Merkel, übergeben Sie Großprojekte an die Türkei! Damit auch hierzulande keine Steuergelder vergeudet werden, keine Neuschulden aufgenommen und Bauprojekte erfolgreich abgeschlossen werden. So wie es die Türkei bereits in Ländern wie Somalia unter Beweis stellt.

Kanal Istanbul (Video)
Dritter Istanbuler Flughafen (Video)
ali yilmaz Warum Deutschland bei Großprojekten der Türkei hinterherhinkt

Autor: Ali Yıldırım

Der Autor, geb. 1978, in Aachen, ist Diplom-Kaufmann, Gründer der Lernplattform CoboCards und spezialisiert im Bereich Online-Marketing. Ali Yıldırım betreibt zudem die Blogs «online-gruender.com» und «turkishstartup.com», in denen er sein Wissen und seine Erfahrungen weitergibt. Er hat 2009 ein Stipendium des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie erhalten und im gleichen Jahr den Businessplan-Wettbewerb start2grow der Stadt Dortmund gewonnen.
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