Gegen Kümmeltürken zu sein,ist gesellschaftl nicht konform,gegen Islamisten schon. Rassismus getarnt als Islamkritik
In Ihrem neuen Buch "Feindbild Moslem" analysieren Sie die zunehmende
Islamfeindschaft in unserer Gesellschaft. Handelt es sich bei diesem
Phänomen um gewöhnlichen Fremdenhass im anti-muslimischen Gewand oder
wirklich um eine neue xenophobe Grundhaltung, die sich ausschließlich
gegen Muslime richtet?
Kay Sokolowsky: Alt ist der
Fremdenhass, der sich hier manifestiert. Neu sind die scheinaufgeklärten
Gründe, mit denen er sich auftakelt. Ein perfider Trick, der es auf den
ersten Blick so aussehen lässt, als habe es mit Ausländerfeindlichkeit
nichts zu tun, was die Muslimhasser treiben.
Es ist
gesellschaftlich nicht konform, gegen "die Kümmeltürken", "die
Kameltreiber" oder "die Knoblauchfresser" zu hetzen. Also weichen die
Fremdenhasser auf Schimpfwörter wie "Mohammedaner", "Musel" oder
"Kulturbereicherer" aus.
Wollten die, die am Feindbild Muslim
bauen, tatsächlich nur vor fanatischen Islamisten warnen, würden sie
nicht generell jedem Menschen, der türkische oder arabische Eltern hat,
unterstellen, er sei ein potenzieller Selbstmordattentäter, ein
"Ehrenmörder" oder Vorkämpfer der Scharia in Deutschland.
Den
Muslimfeinden gilt jeder Mensch als mörderischer Islamist, der einen
türkischen oder arabischen Nachnamen hat – ganz gleich, ob dieser Mensch
an Allah, den Osterhasen oder an gar nichts glaubt. In dieser
Generalisierung steckt pure rassistische Ideologie. Mit Kritik im
eigentlichen und guten Sinne hat dies nicht das Geringste zu tun. Aber
sehr viel mit dem bösen Wunsch zu diffamieren, auszugrenzen, Angst und
Hass zu säen.
Was sind die Ursachen für die Entstehung dieses Feindbildes?
Sokolowsky:
Die Motive sind dieselben wie bei jeder anderen Form des Rassismus:
Hier wird ein Kollektiv von schlechten, minderwertigen, "unsere Kultur
und Nation bedrohenden" Menschen konstruiert, damit der Rassist sich
selbst erhöhen kann. Ohne sagen zu können, was ihn zu einem moralisch
und intellektuell makellosen Wesen macht, ohne überhaupt darüber
nachzudenken, was denn die Überlegenheit seines Charakters und seiner
Lebensführung ausmacht, definiert der Rassist sich positiv über all das
Negative und Böse im Bild seines Feindes.
Wichtig ist dem
Fremdenhasser allein, dass er selbst "nicht so" ist. Ob aber die
Menschen, die er in sein Feindbild hineinpresst, tatsächlich "so" sind,
überprüft der Rassist nicht. Er setzt es einfach voraus. Seine Ideologie
ist hermetisch, für Fakten und rationale Argumente nicht erreichbar.
Warum hat das "Feindbild Moslem" so steile Karriere gemacht?
Sokolowsky: Das
Feindbild Moslem hat sicherlich deshalb eine so steile Karriere
gemacht, weil es die diffusen Ängste ausnutzt, die der Islam spätestens
seit den Anschlägen vom 11. September im Westen auslöst. Hinzu kommt,
dass die Deutschen – vier Jahrzehnte, nachdem die ersten
Arbeitsmigranten aus der Türkei zu uns gekommen sind! – allmählich
begreifen, dass die Einwanderer aus dem islamischen Kulturkreis hier
bleiben wollen und bleiben werden.
Das führt zu Abwehrreaktionen bei denen, die immer schon
fremdenfeindlich waren, aber auch bei denen, die sich eingebildet haben,
das seien ja nur "Gast"-Arbeiter, Leute, die irgendwann wieder
verschwinden werden.
Diese langjährige Ignoranz wird nun, da sogar
die CDU eingesteht, Deutschland sei ein Einwanderungsland, von vielen
Bürgern durch Feindseligkeit ersetzt.
Ihre Angst vor "dem Anderen"
wird auch durch das zunehmende Selbstbewusstsein deutscher Muslime, das
sich etwa bei der "Deutschen Islamkonferenz" oder beim Bau
repräsentativer Moscheen äußert, befeuert. Dafür können die Muslime, die
nur ihre Bürgerrechte einfordern, nichts. Doch die Publizisten, die bei
jedem Moscheebau vom Untergang des Abendlandes phantasieren, sehr viel.
Ist die von Ihnen beschriebene Islamfeindschaft vergleichbar mit dem historischen Antisemitismus?
Sokolowsky:
Ja. Die Muster und die Themen der Hetze gleichen sich bis aufs Haar.
Der Muslimhasser unterstellt seinem Feind eine Weltverschwörung, die zum
Ziel habe, alle Menschen unter die Knute des Islams zu zwingen. Er
nennt die Muslime, die unter uns leben, "Fremdkörper" und "Parasiten",
er unterstellt ihnen, pausenlos zu lügen, sich auf Kosten der
"autochthonen" Bevölkerung schamlos zu bereichern. Er wird nicht müde,
davon zu faseln, dass die Kultur und Religion der Muslime völlig
unvereinbar mit "unseren westlichen Werten" seien.
Viele Muslimfeinde reden
mittlerweile ganz offen von "Blutschande", wenn die Rede auf sexuelle
Beziehungen zwischen "Christen" und "Muslimen" kommt. Immer häufiger
wird auch das Schächten – das in der antisemitischen Propaganda der
Nazis ein zentrales Thema war – abwertend gegen Muslime vorgebracht, als
"Beweis" für ihre vermeintliche Grausamkeit und Primitivität.
Die
strukturelle Verwandtschaft von Muslim- und Judenhass offenbart sich
spätestens dann, wenn der Muslimfeind darauf hingewiesen wird, wohin die
systematische Diffamierung einer Bevölkerungsminderheit in Deutschland
schon einmal geführt hat. Dann fällt die Maske, es wird von der
"Nazikeule" geplärrt und ganz offen der Holocaust geleugnet.
Aber es gibt doch Islamisten und Gotteskrieger, die von der Weltherrschaft träumen…
Sokolowsky: Ja,
es gibt Muslime, die von der Weltherrschaft träumen und die die
Menschheit mit ihrer islamistischen Ideologie beglücken wollen, notfalls
gewaltsam. Eine jüdische Weltverschwörung hat es hingegen niemals
gegeben.
Aber die Muslime mit Welteroberungsträumen sind eine
Minderheit, die ihren Einfluss allein ihrem kompromisslosen, äußerst
brutalen Fanatismus verdankt. Wer das verschweigt, unterscheidet sich
kein Deut von Leuten, die glauben, die "Protokolle der Weisen von Zion"
seien authentisch.
Wo liegen Ihrer Ansicht nach die Unterschiede zwischen legitimer Islamkritik und offener Islamfeindschaft?
Sokolowsky: Legitim
ist es, Hasspredigern zu widersprechen und auf der strikten Trennung
von Staat und Religion zu beharren – die vielleicht wichtigste
Errungenschaft der französischen Revolution. Legitim ist es auch,
Praktiken wie die Zwangsheirat, die Unterdrückung der Frau oder die
Verfolgung Andersgläubiger als voraufklärerisch zu benennen und als
inhuman zu ächten.
Aber wie bei jeder Kritik sind auch hier vier
Regeln zu beachten: Generalisierung vermeiden, die Menschenwürde achten,
auf Fanatismus mit Vernunft antworten, Spekulationen mit Fakten
widerlegen. Den Islamfeinden sind diese Regeln völlig gleichgültig. Sie
hüllen ihren Rassismus in das Gewand der Islamkritik, um ihn zu
verbergen.
Doch man muss nur einen kleinen Zipfel heben, und schon
wird sichtbar, dass die Muslimhasser nicht kritisieren, sondern
diskriminieren, dass die Realität des Islams ihnen völlig gleichgültig
ist, weil sie ausschließlich an ihre alptraumhaften Phantasien glauben –
jedes böse Gerücht über Muslime wird sofort geglaubt, jede gute
Nachricht einfach ignoriert oder als "Lüge der Gutmenschen" verhöhnt.
Wann
genau schlägt die legitime Kritik an islamistischer Ideologie in offene
Islam-Feindseligkeit um? Wo soll man hier die Grenze ziehen?
Sokolowsky:
Sobald Angst vor dem Fremden, dem Fremdartigen an sich den Blick auf
den Anderen zu trüben beginnt, schlägt die legitime Kritik an
islamischer Ideologie sehr schnell um in offene Feindseligkeit. Das ist
besonders gut und besonders erschütternd an dem Journalisten Ralph
Giordano zu beobachten. Seit er vor einigen Jahren entdeckte, dass es
militante Islamisten gibt, hat dieser verdiente Antirassist sich immer
tiefer in rassistische Denk- und Sprechmuster verstrickt.
In
seiner Angst vor dem Islam merkt er leider nicht, dass er mit seinen
Polemiken fürchterlichen Schaden anrichtet und die Ausgrenzung der
Muslime aus unserer Gesellschaft stärker betreibt, als es alle
Kopftuchträgerinnen des Landes zusammen könnten. Denn für die Ideologen
des Islamhasses ist der große Giordano als Galionsfigur ein wahrer
Glücksfall.
Zu welchen gesellschaftlichen Folgen könnte eine wachsende Islamfeindschaft in Deutschland führen?
Sokolowsky:
Ich fürchte, dass die Folgen längst da sind. In Niedersachsen lässt das
Innenministerium verdachtsunabhängig Moscheebesucher kontrollieren.
Akademiker mit türkischer Herkunft haben es so schwer, einen Job auf dem
deutschen Arbeitsmarkt zu ergattern, dass sie resigniert in das Land
ihrer Eltern oder Großeltern auswandern.
Eine Frau, die aus
religiösen Gründen ein Kopftuch trägt, hat es erheblich schwerer als
andere Frauen, einen Arbeitsplatz zu finden, ganz gleich wie
qualifiziert sie ist. Eine Partei, die außer Islamfeindschaft kein
politisches Programm zu bieten hat, sitzt jetzt schon im fünften Jahr im
Stadtparlament von Köln.
Muslimfeindliche Polemiker genießen eine
erheblich größere Aufmerksamkeit in den Medien als seriöse
Migrationsforscher wie Werner Schiffauer oder aufgeklärte Muslime wie
Navid Kermani. Gegen einen EU-Beitritt der Türkei werden vor allem
kulturalistische Argumente vorgebracht – sachlich wird hier schon lange
nicht mehr argumentiert.
Die zunehmende Feindseligkeit gegen "die
Muslime" sorgt dafür, dass immer mehr Deutsche, die türkische oder
arabische Wurzeln haben, sich abschotten, weil sie sich von der
Mehrheitsgesellschaft verachtet fühlen. Dreiviertel der deutschen
Bevölkerung fürchten sich vor "dem Islam". Und in einem Gerichtssaal in
Dresden ist eine Frau allein deshalb ermordet worden, weil sie
bekennende Muslima war.
Befürchten Sie das Entstehen einer
dezidiert islamfeindlichen Partei in Deutschland, wie beispielsweise in
den Niederlanden? Wäre solch eine Gruppierung erfolgreich?
Sokolowsky: Eine dezidiert islamfeindliche Partei gibt es mit
Pro Köln und all ihren Ablegern wie
Pro NRW
ja bereits in Deutschland – freilich mit recht bescheidenen Erfolgen an
der Wahlurne. Dagegen setzt die PVV in den Niederlanden nicht allein
auf Muslimfeindschaft. Sie hat mit Geert Wilders einen außerordentlich
charismatischen und redegewandten Chef im Angebot.
In erster Linie präsentiert die PVV sich als Partei für Gutverdiener,
die es nicht mögen, Steuern zu zahlen und auch sonst dem Staat
misstrauen. Die fremdenfeindlichen Parolen sind die Sahne auf dem
Kuchen. Erst war die bürgerliche Basis da und dann die muslimfeindliche
Propaganda.
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass eine Partei,
die hierzulande bereits fest verankert ist, sich über Muslimfeindschaft
neue Wählerschichten erschließen könnte.
Auf jeden Fall wird die
Muslimfeindschaft als Alleinstellungsmerkmal nicht genügen, um in
Deutschland erfolgreich Wahlkämpfe zu bestehen. Aber ich kann mir leider
vorstellen, dass eine dezidiert islamfeindliche Haltung den Ausschlag
bei künftigen Wahlkämpfen geben könnte.
Sind Medien mitverantwortlich für die Ausbreitung anti-muslimischer Grundeinstellungen?
Sokolowsky:
Unbedingt. Besonders hervorgetan hat sich dabei der "Spiegel" unter der
Chefredaktion von Stefan Aust. "Allahs blutiges Land", "Allahs
rechtlose Töchter", "Papst contra Mohammed", "Mekka Deutschland – die
stille Islamisierung" – das waren nicht etwa ironische, sondern
bitterernst gemeinte "Spiegel"-Titel unter Stefan Aust. Und die
Geschichten dazu waren ebenso tendenziös und diffamierend wie die
Titelzeilen.
Das hat einen kaum zu ermessenden Schaden in den
Köpfen des Publikums angerichtet. Zum Glück hat der "Spiegel" seit Austs
Entlassung diese angst- und wutgeprägte Fixierung auf "den Islam"
aufgegeben. Aber der Schaden ist da. Und zu diesem Schaden haben alle
Journalisten, die den "Spiegel" nicht kritisierten für seine
fremdenfeindlichen Titel, leider beigetragen.
Wie kann man dem "Feindbild Moslem" am effektivsten entgegenwirken?
Sokolowsky: Durch
Dialog, Begegnung und Aufklärung. Je besser die Deutschen mit deutschen
Eltern ihre Mitbürger mit türkischen oder arabischen Eltern
kennenlernen, desto weniger leicht werden sie auf das Gehetze der
Muslimhasser hereinfallen. Statt ständig darauf zu schielen, wo sich die
einen von den anderen Deutschen unterscheiden, sollten sie alle
gemeinsam schauen, was sie verbindet.
Denn das ist viel mehr als
das, was sie trennt. Muslime wie Christen denken nicht den ganzen Tag an
Jesus oder Allah, sondern vor allem an ihren Arbeitsplatz, die Hypothek
fürs Haus, die Erziehung der Kinder, die Reparatur des Autos, den Preis
fürs Suppenhuhn.
Es sind die Hassprediger, die den Blick auf
diese alltäglichen Gemeinsamkeiten verblenden wollen – die Hassprediger
in den Hinterhofmoscheen und die Hassprediger in den deutschen Medien.
Interview: Ramon Schack
© Qantara.de 2009
Kay Sokolowsky: "Feindbild Moslem", Rotbuch-Verlag, Berlin 2009, 255 Seiten
Qantara.deKommentar "Kampf der Kulturen" in den Medien
Sparschweinalarm
In seiner letzten Ausgabe malt DER SPIEGEL den Teufel einer "stillen
Islamisierung" an die Wand, in Hamburg tritt demnächst eine
"Anti-Islam-Partei" an und mancher Ex-Linke klingt, als wäre er in der
NPD. Ein Kommentar von Robert Misik
Islamkritik in Deutschland
Irrationales Feindbild
Mit der Sprache der Extremisten: Wie populäre "Islamkritiker" Muslime
unter Generalverdacht stellen, erklärt Peter Widmann, wissenschaftlicher
Assistent am Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung.
Anti-islamische Bewegungen in Deutschland
"Islamophob – und stolz darauf"
Fundamentalistische Christen hetzen mit populistischen Parolen gegen
Muslime– für sie die neue Gefahr in Europa. Die Besucherzahlen mancher
ihrer Internetseiten sind erschreckend hoch. Claudia Mende hat
recherchiert.