Droht eine Islamisierung des Abendlandes? Mit welchen Tricks gezielt Ängste geschürt werden
22. Dezember 2014 von Michael Blume in Allgemein, Begriffe - Symbole, Bildung, Evolutionspsychologie, Glücksforschung, Grundlagen, Islam, Liebe und Leidenschaften, Netzkultur(en), Phänomene, Philosophische Fragen, Politik und Gesellschaft, Religion im Internet, Religionskritik - Kritik, Säkularstudien, Verschwörungstheorien, Vorurteile
Sie
behaupten, "die Werte des Abendlandes verteidigen" zu wollen, für "die
Aufklärung" oder gar "das Christentum" zu stehen und "unbequeme
Wahrheiten" auszusprechen. Doch sie verdrehen bewusst Tatsachen und
lügen, um Ängste zu schüren und Mitläufer zu gewinnen. Zeit für einen
Faktencheck.
1. Behauptung: Die Muslime werden in Deutschland bald die Mehrheit stellen.
Die Antwort darauf ist: Nein, werden sie nicht. Derzeit sind rund 4 Millionen Menschen und also rund 5% der deutschen Wohnbevölkerung islamischen Glaubens - und auch unter den Zuwanderern überwiegen Nichtmuslime wie z.B. Christen aus Osteuropa und Afrika.
Aber haben "die Muslime" denn nicht "mehr Kinder"? Nein - haben sie nicht - und das sage ich als Religionswissenschaftler, der sich auf die Erforschung der Zusammenhänge von Religion & Demografie spezialisiert hat. Wie auch Hans Rosling gezeigt hat, bekommen weltweit nicht "die Juden", "die Christen" oder "die Muslime" mehr Kinder, sondern (immer im Durchschnitt) religiöse Juden mehr Kinder als säkulare Juden, religiöse Christen mehr Kinder als säkulare Christen und religiöse Muslime mehr Kinder als säkulare Muslime. Die Amish oder die Mormonen berufen sich beispielsweise auf Jesus Christus und sind aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen zugleich kinderreich (die Mormonen übrigens zudem überdurchschnittlich wohlhabend und gebildet). Da ist es von Möchtegern-Abendländern doch ein bißchen mies, religiösen Minderheiten vorzuwerfen, was man doch selbst ändern könnte, oder!?
1. Behauptung: Die Muslime werden in Deutschland bald die Mehrheit stellen.
Die Antwort darauf ist: Nein, werden sie nicht. Derzeit sind rund 4 Millionen Menschen und also rund 5% der deutschen Wohnbevölkerung islamischen Glaubens - und auch unter den Zuwanderern überwiegen Nichtmuslime wie z.B. Christen aus Osteuropa und Afrika.
Aber haben "die Muslime" denn nicht "mehr Kinder"? Nein - haben sie nicht - und das sage ich als Religionswissenschaftler, der sich auf die Erforschung der Zusammenhänge von Religion & Demografie spezialisiert hat. Wie auch Hans Rosling gezeigt hat, bekommen weltweit nicht "die Juden", "die Christen" oder "die Muslime" mehr Kinder, sondern (immer im Durchschnitt) religiöse Juden mehr Kinder als säkulare Juden, religiöse Christen mehr Kinder als säkulare Christen und religiöse Muslime mehr Kinder als säkulare Muslime. Die Amish oder die Mormonen berufen sich beispielsweise auf Jesus Christus und sind aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen zugleich kinderreich (die Mormonen übrigens zudem überdurchschnittlich wohlhabend und gebildet). Da ist es von Möchtegern-Abendländern doch ein bißchen mies, religiösen Minderheiten vorzuwerfen, was man doch selbst ändern könnte, oder!?
Entsprechend
sinken auch die Geburtenraten in allen einigermaßen stabilen, auch
islamischen Gesellschaften, etwa im Iran und der Türkei, zuletzt sogar
unter die so genannte Bestandserhaltungsgrenze von 2,1 Kindern pro Frau.
Sowohl der ehemalige iranische Präsident Mahmut Ahmadinedschad wie auch der türkische Präsident Tayyip Erdogan forderten daher ebenso wie ihre "christlichen" Kollegen Wladimir Putin (Russland) und Viktor Orban (Ungarn)
von ihren Bürgerinnen und Bürgern längst mehr Kinder. Aber es hilft
kaum etwas: Auch sie tappen dabei durch die Verweigerung einer modernen
Familienpolitik in die demografische Traditionalismusfalle, in der auch Länder wie Italien, Polen, Griechenland und, ja, Deutschland feststecken.
Datenquelle: Weltbank, Grafiktool: Google
2. Behauptung: Wegen der Muslime werden schon Weihnachtsmärkte in Wintermärkte umbenannt!
Auch hierzu die klare Antwort: Nein, werden sie nicht. Es handelt sich hier um gezielt gestreute BILD-Falschmeldungen!
Zwar
hat das Kreuzberger Bezirksparlament einen m.E. dummen Beschluss
gefasst, der öffentliche Werbeveranstaltungen von Religionen untersagt -
aber mit Winter- und Weihnachtsmärkten hat dieser nichts zu tun. Und so
gibt es in Kreuzberg und Friedrichshain auch weiterhin den
„Weihnachtsmarkt in der Neuen Heimat“, den „Kiezweihnachtsmarkt am Café
Eule“, den „Finnischen Weihnachtsmarkt“, den „Stralauer
Weihnachtsmarkt“...
3. Behauptung: Muslime fordern das Singen muslimischer Lieder in Kirchen!
Und wieder der klare Befund: Nein, tun sie nicht! Das Ganze war wiederum eine Idee und Falschmeldung der BILD-Zeitung, die damit pünktlich zur #Pegida-Demo in Dresden gezündelt hat.
Frage: Aber warum lassen sich so viele Menschen Angst einjagen - und verbreiten die Lügen sogar gezeilt weiter?
Tatsächlich
haben sich die Islamophoben über meine Befunde zu Religion &
Demografie nicht etwa gefreut ("Juhu, das Abendland geht doch nicht
unter!") - sondern mir stattdessen auf der rechtsextremen Prangerplattform "Nürnberg 2.0" mit einer "Verurteilung" wegen "Leugnung des Geburtendschihad" (sic!) gedroht!
Denn: Angst ist eine evolutionär uralte und starke Emotion. Wer
sich langweilt, vor verschiedenen Dingen (z.B. dem sozialen Abstieg
oder der Einsamkeit) fürchtet oder auch einfach keinen Sinn mehr im
eigenen Leben findet - fühlt sich durch klare Feindbilder beflügelt!
Diese regen auf, "bereichern" den tristen Alltag und verschaffen das
erhebende Gefühl, sich mit anderen "Aufrechten" gemeinsam "gegen die
Feinde im Inneren und Äußeren" zu stellen!
Zwischen
Parolen wie "die Juden sind unser Unglück", dem Hass auf Christen z.B.
in der Türkei, Anti-Amerikanismus oder eben "Gegen die Islamisierung des
Abendlandes!" bestehen dann je nur graduelle Unterschiede - die
Psychologie ist die Gleiche. Und tatsächlich gehen die
Anti-Verschwörungstheorien z.B. auf den Pegida-Demonstrationen wild
durcheinander...
Insofern muss auch klar
sein, dass Menschen sich in ihre jeweiligen Ängste und Feindbilder so
hineinsteigern können, dass sie anderslautende Argumente gar nicht mehr
hören "wollen". Die Islamophoben, die auch manchmal auf meinem Blog
trollen, "wollen" nicht wirklich etwas über Religion(en) bzw. den Islam
erfahren, sondern in ihrer Abneigung und ihren Verschwörungstheorien
weiter bestätigt werden. Sie sehnen sich nach dem "Clash", der
"Endschlacht", durch die sie Sinn und Status auf Kosten der "heutigen
Eliten" zu erlangen hoffen.
Der Mensch ist nur zu einem kleinen
Teil rational - und wer nicht oder nicht mehr an ein Gutes glauben kann,
der wird manchmal versuchen, die eigene Identität durch den Glauben an
ein Böses zu stabilisieren.
Armes Abendland.
Falls
Sie statt Ängsten etwas genauer wissen wollen, wie sich die religiöse
Landschaft in unserem Land verändert, hier gerne ein Vortrag mit
Datenfolien: